Stadtmauer
Flensburg war seit dem Mittelalter mit einer Stadtmauer umgeben, um sich vor den Angriffen von außen zu schützen und Räuber von der Stadt fern zu halten. 1596 erließ der Landesherr von Schleswig-Holstein, der König von Dänemark, ein Verbot, außerhalb der Stadtmauern Flensburgs Wohnraum zu errichten. In den folgenden Jahrhunderten konnten mit Ausnahmegenehmigungen Scheunen, Ställe und Betriebe außerhalb der Stadtmauern in geringer Zahl errichtet werden.
Boomzeit in der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts
Nach 1760 begann eine längere Aufschwungphase in Flensburg vor allem durch den Zuckerhandel mit Dänisch-Westindien (bis 1917 Dänemarks Kolonien in der Karibik bestehend aus den drei kleinen Inseln Saint Thomas, Saint John und Saint Croix , danach unter dem Namen American Virgin Islands zu den USA gehörend) und durch den Branntweinhandel mit Norwegen, das zum Königreich Dänemark gehörte. Durch eine große Zuwanderung gewann die Stadt immer mehr an Einwohnern. Die Grundstückspreise und Mieten in der Stadt erreichten schwindelerregende Höhen, so dass immer mehr Bürger außerhalb der Stadtmauern bauen wollten.
Geburt der Neustadt im Jahre 1796
1796 genehmigte der dänische König die Freigabe des Ramshardener Feldes außerhalb des Nordertores zur Besiedlung. Die Grundstückspreise waren sehr hoch. Das erste Gebäude in der Neustadt war das Packhaus (steht heute noch und hat die Adresse Neustadt 1), das bereits 1780 als Lagerraum errichtet wurde. 1794 erhielt der Besitzer ein Wohnrecht mit Sondergenehmigung. Entlang der Straße „Neustadt“ entstanden nach 1796 Häuser. Die Häuser waren meistens Wohn- und Geschäftshäuser von Kaufleuten und Handwerkern mit ein- bis zwei Geschossen. Außerdem entstanden in der Neustadt mehrere Branntweinbrennereien.
Kriegszeit und wirtschaftlicher Niedergang 1806-1830
Durch die Teilnahme Dänemarks seit 1806 auf Seiten Napoleons an den Kriegen bis 1813/14 kam der Flensburger Handel mit den Kolonien durch die Seeherrschaft Englands, des Hauptgegners Napoleons, zum Erliegen und Norwegen ging 1814 als Absatzmarkt für Flensburger Spirituosen verloren. Norwegen wurde 1814 an Schweden abgetreten. Für Flensburg bedeutete dies einen wirtschaftlichen Niedergang mit zahlreichen Zwangsversteigerungen vor allem auch in der Neustadt.
Wirtschaftlicher Wiederaufstieg nach 1830
Erst in den 30er Jahren des 19. Jahrhunderts begann durch eine weltweite Hochkonjunktur und durch die beginnende Industrialisierung in Deutschland ein großer wirtschaftlicher Aufstieg in Flensburg.
1832 wurde in der Neustadt die erste Dampfmaschine in einer Ölmühle eingesetzt und damit begann die Industrialisierung in Flensburg. Ein Zeitgenosse bemerkte bewundernd:
„Schon der Anblick, wie der Mensch die verheerendsten Elemente, Feuer und Wasser, sich unterwirft, und die unaufhörliche Tätigkeit, welche hier herrscht, erheben das Gemüt und wir möchten schon deswegen Jedem empfehlen, das Werk zu beschauen.“
(Nach: Flensburg in Geschichte und Gegenwart. Flensburg 1972, S. 226.)
Eisengießerei Dittmann und Jensen
Die Eisengießerei von Dittmann und Jensen entstand 1842 in der Neustadt Nr. 40. Die Fabrik produzierte Dampfmaschinen, Maschinenteile, Öfen und vieles andere. Später wurde daraus die nordische Ofenfabrik. Diese Fabrik beschäftigte zeitweise 200 Arbeitnehmer, durchschnittlich waren es 150.
Glashütte
Nach Anlage der Apenrader Straße in den 50er Jahren des 19. Jahrhunderts entstanden dort ein- bis 2 stöckige Häuser und kleinere Betriebe. Das größte Unternehmen war eine um 1852 errichtete Glashütte in der Apenrader Straße 66. 1854 produzierte die Glashütte 300 000 Stück grüne Flaschen und 14000 Stück weiße Glaswaren. Die Fabrik wuchs in den folgenden Jahrzehnten gewaltig. Der 1. Weltkrieg bedeutete das Ende. Durchschnittlich beschäftigte die Glashütte 120 Arbeiter, in Spitzenzeiten bis zu 200. Die Glasmacher waren fast alle deutscher Abstammung, kamen aber aus aller Herren Länder und waren eine verschworene Gemeinschaft, die in der Nähe der Fabrik in eigens errichteten Häusern wohnten. Außerdem waren in der Apenrader Straße zeitweise eine Tuch- und eine Stärkefabrik.
Gaswerk
1854 wurde in der Neustadt von einer englisch-dänischen Gesellschaft das erste Gaswerk in den Herzogtümern und Dänemark errichtet. Der Zufahrtsweg war die heutige Gastraße. Das Benutzen von Gas zur Straßenbeleuchtung war damals eine moderne Technologie aus England. Das erste Gaswerk überhaupt wurde 1810/1814 in England erbaut. Mehr Angaben über die Geschichte der Gaswerke und der Gasverwendung enthält die Hompage des Gaswerkes Augsburg.
Straßenbeleuchtung
Bereits seit 1735 gab es in Flensburg eine öffentliche Beleuchtung durch Tranlampen (Information aus: Flensburg in Geschichte und Gegenwart. Schriften der Gesellschaft für Stadtgeschichte e.V. Band 22. Flensburg 1972, Seite 112. In diesem Buch sind auch viele alltägliche Einzelheiten Flensburgs in der Vergangenheit beschrieben, z. B. die Geschichte der Verwaltung, des Haushalts, der Müllabfuhr, der Feuerwehr usw.).
glänzender Ausblick
Ein Optimist sah schon 1853 eine glänzende Zukunft voraus:
„Man wird wirklich mit rechter Freude erfüllt, wenn man das Leben und die Tätigkeit sieht, welche sich regen, sobald man nur den Fuß aus dem Nordertor gesetzt hat… Betrachten wir alle diese in der letzten Zeit neu errichteten und sich immer erweiternden Etablissements, so können wir mit Recht erwarten, nach nicht gar langem Zeitraum hier, wo nicht eine vollständige neue Gasse, so doch immer mehr neue industrielle Unternehmungen mit denen durch sie hervorgerufenen Gebäuden zu erblicken, wozu die Lage in mehreren Hinsichten sich so vorzüglich eignet. Auch in unserer Stadt selbst (=alte Innenstadt) finden sich mehrere bedeutende Dampffabriken und Mühlen; doch können wir nicht leugnen, daß wir lieber gesehen hätten, sie wären in unmittelbarer Nähe zur Stadt angelegt worden, da sie den um sie her wohnenden Nachbarn unleugbar manche und große Unannehmlichkeiten verursachen. „
(Nach Flensburg in Geschichte und Gegenwart. Flensburg 1972, S. 228.)
Flensburg als Teil Deutschlands ab 1866 und wirtschaftliche Umstellung
Nach dem Krieg zwischen Dänemark auf der einen und Preußen und Österreich auf der anderen Seite im Jahre 1864 und dem preußisch-österreichischen Krieg von 1866 wurde Schleswig-Holstein preußische Provinz.
Da Flensburg nach 1864 nicht mehr zu Dänemark gehörte, waren die wirtschaftlichen Verbindungen Flensburgs zu Dänemark abgeschnitten. Flensburg musste mit den wirtschaftlich weiter entwickelten Gebieten in Deutschland konkurrieren und stand so vor gewaltigen Herausforderungen, die durch einen gewaltigen Modernisierungsschub gemeistert wurden.
Die Zeit der großen Industrie 1871-1918 und der neuen Aktiengesellschaften
Zwischen 1870 und 1900 wurde die Neustadt zum weitaus größten Industriebezirk im Schleswiger Raum. Es entstanden Betriebe in bisher nicht gekanntem Ausmaß im Zuge der Modernisierung.
Das Geld für diese Betriebe konnten nur noch Aktiengesellschaften aufbringen.
Flensburger Schiffbaugesellschaft
Die erste große Aktiengesellschaft errichtete die Flensburger Werft, die 1872 auf dem alten Werftgelände fertiggestellt wurde. Auf ihr konnten die neuen Dampfschiffe aus Metall gebaut werden. Die ersten Arbeiter kamen aus England, um die einheimischen Arbeiter mit der neuen Technik vertraut zu machen.
Aktienbrauerei
Die nächste große Aktiengesellschaft errichtete die 1873/1874 Aktienbrauerei, die einen riesigen Umfang hatte und in einem schlossähnlichen Bau untergebracht war. Die Brauerei lag am heutigen Brauereiweg und erlebte in den Anfangsjahren einen gewaltigen Aufschwung. Nach dem 1. Weltkrieg wurden 1919 die Aktienbrauerei und die modernere Exportbrauerei am Munketoft zu den Flensburger Brauereien zusammengeschlossen und die Aktienbrauerei wurde stillgelegt.
Walzenmühle
Die letzte große Aktiengesellschaft baute 1889 die Kornwalzenmühle, die die Mühlen rings um Flensburg ersetzte. Zu ihrer Finanzierung brachten mehrere Flensburger Kaufleute ein Aktienkapital von 300 000 Reichsmark auf, eine für damalige Zeiten unvorstellbar gewaltige Summe.
Änderung des Erscheinungsbildes der Neustadt
Diese drei Großunternehmen bestimmten das Erscheinungsbild der Neustadt. Dazu kamen noch die neuen Anlagen der Stadtwerke. Zum städtischen Gaswerk kamen noch das Kraftwerk und das Wasserwerk hinzu. Außerdem wurde der städtische Schlachthof hierher verlegt.
In dieser Zeit änderte sich das Aussehen der Neustadt erheblich. Weil die großen Betriebe viele Arbeiter und Angestellte benötigten, musste für sie der dringend benötigte Wohnraum geschaffen werden. In der Neustadt, der Apenrader und der Harrisleer Straße entstanden große Wohnhäuser für Arbeiter und Angestellte mit bis zu fünf Stockwerken und teilweise mehreren Hinterhöfen. Oftmals mussten ihnen kleinere Häuser weichen. Außerdem baute der 1878 gegründete Flensburger Arbeiter Bauverein in der Vereinsstraße Arbeiterhäuser. Die baulichen Veränderungen zwischen 1870 und 1900 prägen die Neustadt bis heute. War die Neustadt bis in die 60er Jahre des 19. Jahrhunderts noch ein vorwiegend bürgerlicher Stadtteil, so wurde sie danach zu einem Arbeiterviertel mit dazwischen liegenden Villen.
Flensburger Schiffbaugesellschaft bis 1960
Als größter Arbeitgeber hatte die Schiffswerft prägenden Einfluss auf die Neustadt. Die Schiffswerft baute von Anfang an die damals hochmodernen Stahlschiffe, die vorher nur in England gebaut wurden. Die Werft hat zu Anfang englisches Personal zur Schulung der einheimischen Arbeiter angestellt. Die Werft konnte sich mit ihren Schiffen schnell am Markt durchsetzen.
Die Zahl der Beschäftigten stieg bis 1903 auf 2614. 1899 wurde auf 5 angekauften Villengrundstücken eine neue Werft errichtet. Die alte Werft wurde zur Reparatur von Schiffen verwendet. Der Anteil der Angestellten an der Zahl der Beschäftigten war denkbar gering gegenüber der Zahl der Arbeiter. Noch 1951 lag die Zahl der Angestellten bei 7,5% der Gesamtbeschäftigten (Angaben nach der Homepage der Flensburger Schiffbaugesellschaft).
In den 20er Jahren des 20.Jahrhunderts nach dem 1. Weltkrieg ging es der Werft wirtschaftlich schlecht. Zu Beginn der 30er Jahre ging die sie infolge der Weltwirtschaftskrise in Konkurs. Zeitweise waren nur 60 Mitarbeiter dort beschäftigt. In den späten dreißiger Jahren erholte sich die Weltkonjunktur und die Kriegsvorbereitungen begannen. Dadurch waren genügend Aufträge für die Werft da. Während des 2. Weltkriegs wurden dort fast nur U-Boote gebaut. In den 50er Jahren des 20. Jahrhunderts erhielt die Werft zahlreiche Aufträge durch den Wiederaufbau der deutschen Handelsflotte.
Im Wandel der Zeiten von 1920 bis 1945
Ein einschneidendes Ereignis für die Neustadt war die neue Grenzziehung durch die Abstimmung von 1920 nach dem 1. Weltkrieg. Der Grenzverlauf besteht heute noch so, wie er damals festgelegt wurde. Das gesamte Nordschleswig kam zu Dänemark und ging damit als wirtschaftliches Hinterland verloren. Wirtschaftliche Not prägte die Jahre nach dem 1. Weltkrieg. In der Weltwirtschaftskrise stiegen die Zahlen der Arbeitslosen rasch an.
Vor dem 1. Weltkrieg war die Neustadt ein Hort der Sozialdemokratie mit zeitweise über 80% der Wählerstimmen. Anfang der 30er Jahre war die Neustadt infolge sehr hoher Arbeitslosigkeit und politischer Radikalisierung eine Hochburg der KPD. Bis 1935/36 dauerte der Widerstand gegen die Nationalsozialisten. Solange bestanden die kommunistischen Schleuser- und Widerstandsgruppen.
Während des 2. Weltkriegs kam es am 19. Mai 1943 zu einem Luftangriff auf die Werftanlagen, bei dem viele Kinder eines dänischen Kindergartens starben. Zu diesem Ereignis fand eine Gedenkveranstaltung mit einer Lesung statt. Die Gedenkveranstaltung liegt weiter unten zum Abspielen vor.
Die Zeit des Wirtschaftswunders
In den 50er Jahren des 20. Jahrhunderts begann ein starker wirtschaftlicher Aufstieg. Dadurch gab es Vollbeschäftigung und eine starke Nachfrage nach Arbeitskräften.
Durch den großen Metallarbeiterstreik von 1956/57 sicherten sich die Metallarbeiter die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, die für Angestellte schon lange bestand. Damit entfiel ein bedeutender Unterschied zwischen Arbeitern und Angestellten.
Wandel in den letzten Jahrzehnten
In den folgenden Jahrzehnten verschwanden die großen alten Industriebetriebe. Als einziger Großbetrieb überstand die Werft die Zeit durch Anpassungen an die Marktlage und durch Umstellung auf andere Bereiche wie z.B. durch die Gründung der Fahrzeugwerke Nord.
Veränderungen in der Sozialstruktur
Seit der Mitte des 19.Jahrhunderts hat sich die Sozialstruktur der Neustadt erheblich verändert. 1847 bildeten Freiberufler, Fabrikanten und Beamte 27% der erwerbstätige Neustädter Bevölkerung, 1987 bildete dieselbe Gruppe 6,5%. Gleichzeitig waren 23,6% der Erwerbstätigen arbeitslos. Die ursprüngliche deutsch-dänische Prägung wurde um eine türkisch-griechische Prägung bereichert.
Bericht vom alliierten Luftangriff am 19. Mai 1943 auf Flensburg, erstellt durch Achttausend Eins auf Vimeo.